Oh Bruder, mein Bruder

08.02.2020


Ari

Heute weiß ich, dass die Musik von Bach sich wie Salbe auf seine wunde Seele legte.

Das Abwartende, Unsichere und Zurückhaltende an seinem Wesen übertünchte auf eine zerbrechlich charmante Art das Lauernde in ihm.

Ari ist der kleine Bruder von Orpheus. Als er zur Welt kommt, geht die Welt auch gleich wieder unter. Fast.

Sturmnacht, Donner, Blitz, Sintflut.

Doktor verunglückt im Sturm. Wird zertrümmert.

Stromausfall.

Todeskirche.

Mondscheinsonate.

Die Natur. Sie ist nicht nur Schönheit. Sie ist auch eine unbarmherzige Mörderin. Sie tötet die Nacht für den Tag und den Tag für eine neue Nacht, und sie nahm in der Dämmerung des Morgens das Leben meiner Mutter - kurz vor dem Moment, als mein Großvater meinen Bruder mit seinen Händen aus ihr herauswühlte.

Ari war klein und er war ein stilles, introvertiertes Kind.

Ari war irgendwie aus der Welt gefallen.

Aber er neigt zum Ausbruch.

Wenn er an einem Tag etwas Totes beerdigt, gräbt er es am nächsten Tag wieder aus und schlägt es erneut so lange tot, bis es weg ist. Dies ist wohl ein Erbe des Großvaters. Geerbt hatte dieses Gen auch mal ein ehelicher Sohn von Zeus und Hera. Den hatte man deswegen auch den Verderber oder den Rächer genannt. Und der war weder bei den Menschen noch bei den Göttern sonderlich beliebt gewesen. Der wird auch nicht oft erwähnt.

Aris Wesen 

war wie Nebel bei einer Autofahrt. 

Wie eine Nebelwand

du weißt nicht, was hinter der Wand ist, auf die du zusteuerst

doch  in Wirklichkeit erreichst du sie nie, dringst nie in sie ein.

Das ist kein Wunder, wenn der Urahn ein Geist ist. So etwas wird auch weitergegeben durch die Generationen.

Aristaios:

Sohn des Apollon. Seine Mutter ist die Nymphe Kyrene. Das Kind kommt zunächst zur Urahnin, der Mutter Erde, deren Name auch Gaia ist. Die Göttinnen der Jahreszeiten unterweisen den Kleinen in den Künsten. Besonders in der Heilkunst, aber auch Bogenschießen und Weissagen lernt er von ihnen.  Sein Ding ist die bäuerliche Kunst: Bienenzüchten, Olivenzüchten, Käsemachen, Heilen. Irgendwie ganz der Papa.

Ganz der Opa konnte er allerdings bei den Frauen sein. Was er wollte, versuchte er sich zu nehmen. So wie bei Euridyke, der Frau des Bruders. Das war Mist.

Mist wird bestraft. Bei den alten Griechen schon,  genau wie heute. Dem Aristaios gingen seine Bienenvölker ein. Er ist außerdem ein Mamajunge, geht also zu seiner Mutter und fragt sie um Rat. Sie schickt ihn zu dem alten Mann vom Meer, der versteht was von der Prophetie. Der erzählt ihm, warum das mit den Bienen passiert ist. Mist und so. Und er gibt ihm einen Rat:

Die Götter müssen nun wieder gnädig gestimmt werden - mit anständig Opfergaben. Vor allem aber auch an den Bruder denken: Ein schwarzes Schaf zusätzlich für Orpheus.

Dann neun Tage warten. Und siehe da: Die Bienen fliegen wieder munter rund um die Kadaver.

Insgesamt muss man über Aristaios sagen, dass er zum Verschwinden neigt.

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