Nur zwei Dinge...

Es war das Jahr 1972 - als die Gemeinde Thule die Sache mit dem Springbrunnen entschied. Beauftragt wurde das einzige SPD-Mitglied des Rates, mithin die einzige Frau, Melanie Gampe, mit der Suche nach dem richtigen Künstler. Die Maßgaben waren so, wie sie auch heute noch sind für öffentliche Kunst.
Der Brunnen sollte
- Die Alleinstellungsmerkmale Thules abbilden
- Von einem lokalen Künstler hergestellt werden
- Nicht teurer als 10.200 DM im Material sein und maximal 14.400 DM an Honorar kosten
Melanie Gampe macht sich an die Arbeit, klemmt sich ans Telefon, Internet gab es da noch lange nicht, und findet tatsächlich einen passenden Künstler:
Moderat bekannt, ein ehemaliges Nachwuchstalent, Skulpteur, Bildhauer.
Sein Name:
Elias Chronos.
Klar, wie auch sonst bei Thule. Was hatte ich vor der Lektüre beim Stichwort "Thule" schon herausgefunden? Thule, Becher, Faust, Gretchen, Goethe, Götterhimmel: Denn es wird vermutet, dieser König wäre Kronos gewesen.
Der Autor Nis-Momme Stockmann legt schon mal keine falschen Fährten.
Unterdessen erinnert sich Finn an die echt dunklen Stunden in seinem Leben. Katja. Einmal ist sie verschwunden, und er sucht sie wie verrückt. Und er findet sie am Sommerschachfeld.
Ja: Sie denkt über einen Schachzug nach. Als wäre es das Normalste der Welt, sitzt sie auf dem Sommerschachfeld und denkt nach. Und als wäre das genauso normal, sitzt ihr der mittlere Baschi gegenüber und denkt ebenfalls über einen Zug nach. Und als wäre es das Allernormalste von allem, setzt er sich jetzt neben sie und bietet ihr eine Zigarette an. Und als wäre es das Allernormalste, der Mount Everest der Normalität, küssen sie sich.
Das Sommerschachfeld wurde übrigens von der Gemeinde Thule bezahlt von dem Geld, das übrig blieb, als der Brunnen doch nicht gebaut werden konnte. Von dem Geld, das dann leider nicht in den Katastrophenschutztopf zurückgezahlt wurde.
Finn hat Lehren gezogen, nicht nur aus der Sache mit dem mittleren Baschi und Katja, sondern eher insgesamt. Sein Credo:
Schütze dich.
Kapsel dich ab.
Bleib fern von der Welt, die dir immer nur in Varianten vorführt: Du täuscht dich. Es gibt keinen Halt. Da gibt es keinen Gott. Und Sinn schon gar nicht. Keine Geschichte, mit Feinden und Freunden und finaler Moral. Und was bleibt da noch übrig? Du bleibst. Am Ende gibt es nur dich.
An dieser Stelle muss es einfach erlaubt sein, einen meiner Lieblingsdichter sprechen zu lassen. Das ist Gottfried Benn. Und das Gedicht, das mich mein ganzes Leben lang begleitet hat, seit ich es im Deutschunterricht das erste Mal hörte. Es heißt "Nur zwei Dinge" und ist datiert auf den 7. Januar 1953:
Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?
Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du musst.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.